Angelina Pils, M.A.

 

Die Causa Schneider/Schwerte. Erkundungen einer bundesrepublikanischen Biografie

Der ehemalige Rektor der RWTH (1970-1973), Prof. Hans Schwerte, galt als prägende Figur ideologiekritischer Germanistik und beteiligte sich als linksliberaler, vielfach ausgezeichneter Intellektueller mit klarer Haltung an den führenden Diskursen der deutschen Nachkriegszeit. Doch 1995 legten niederländische Journalisten offen, dass der Emeritus „Schwerte“ seine Karriere als Hochschullehrer über fünfzig Jahre hinweg mit einer gefälschten Identität verfolgte. So wechselte der ehemalige SS-„Hauptsturmführer“ und Leiter des „germanischen Wissenschaftseinsatzes“ im Rasse- und Siedlungshauptamt, Dr. Hans Ernst Schneider, unmittelbar nach Kriegsende seinen Namen, um sein Leben unter den veränderten Bedingungen einer „neuen Zeit“ passabel weiterführen zu können. Aus Dr. Schneider wurde Prof. Schwerte.

Als die Doppelidentität Schneider/Schwertes im Jahr des 125-jährigen Hochschuljubiläums der RWTH aufgedeckt wurde, konzentrierte sich der öffentliche Diskurs vor allem auf die Rolle von Mitwissenden an der Universität und die Frage nach der juristisch messbaren Verantwortung der Person Schneider/Schwerte. Die Causa entwickelte sich zu einem Sturm im Wasserglas, der heute vor allem als biografischer Sonderfall rezipiert wird.

Das Dissertationsprojekt arbeitet sowohl die Biografie Schneider/Schwertes als auch erstmals die Enttarnungsgeschichte geschichtswissenschaftlich auf. Der dezidiert historisch-kontextualisierende Ansatz und der Vergleich mit überraschend ähnlichen Lebensläufen eröffnen den Blick auf ein bundesrepublikanisches Biografiemuster ehemaliger SS-Wissenschaftsmanager. Vor dem Hintergrund bisheriger Täterforschung fördert die Dissertation die distinktiven Merkmale dieser, sich selbst als gesellschaftliche Avantgarde verstehenden Tätergruppe zutage. Dabei stellen die bislang unveröffentlichten Tagebücher Schneider/Schwertes, die dieser von 1942 bis 1999 anfertigte, einen wesentlichen Quellenbestand dar. Neben diesen finden auch Akten des Bundesarchivs, des Landesarchivs NRW sowie des Hochschularchivs der RWTH Eingang in die Arbeit.