Karen Froitzheim, M.A.
Nachhaltigkeit(en) zwischen Kontinuität und Wandel – Zur Entwicklung von Diskursen und Praktiken in deutschen und britischen Unternehmen nach der Rio-Konferenz
Der Begriff der Nachhaltigkeit ist heute integraler Bestandteil wirtschaftlichen Handelns und zugleich Gegenstand einer als „Greenwashing“ kritisierten unternehmerischen Inszenierung. Zwar waren die historischen Wurzeln des Nachhaltigkeitsbegriffs in der Forstwirtschaft ökonomisch konnotiert, ab den 1970er Jahren entwickelte sich die Idee jedoch vor allem im Kontext von Wachstums- und Globalisierungskritik bevor sie sich – so eine These – insbesondere seit der Rio-Konferenz 1992 zunehmend wieder ökonomisierte.
Das Projekt erkundet die Entwicklung von Nachhaltigkeit in deutschen und britischen Unternehmen zwischen den späten 1980er und 2000er Jahren mit einem Fokus auf multinationale Unternehmen. Zum einen nehmen diese aufgrund ihrer strukturellen Beschaffenheit und Finanzkraft häufig eine Vorreiterrolle ein, zum anderen stehen sie – auch im Rahmen allgemeiner Globalisierungskritik – unter besonderer Beobachtung. Im Vordergrund dieser Studie steht die Frage, wie Unternehmen selbst das Leitbild Nachhaltigkeit rezipierten, kommunizierten und implementierten und welche Akteursgruppen sie bei der Entwicklung von Nachhaltigkeitskriterien als prägend wahrnahmen. Der Arbeit liegt die These zugrunde, dass Unternehmen sich aktiv in den Nachhaltigkeitsdiskurs einschrieben und eigene Definitionen, Praktiken und Narrative entwickelten. Dabei ist davon auszugehen, dass sie in einem reziproken Verhältnis zu anderen Akteursgruppen standen, folglich gegenüber diesen ihr spezifisches Verständnis von Nachhaltigkeit formulierten und gleichzeitig von diesen in ihrer Entwicklung geprägt wurden.
Die Studie möchte die Eigenperspektive der Unternehmen erforschen, in dem sie deren zeitgenössische Einschreibungen anhand einer fundierten Quellenbasis untersucht. Es wurden vier Unternehmen aus der Chemie- und Pharmaindustrie sowie Handels- und Konsumgüterbranche ausgewählt, deren Archive eine umfassende Quellensichtung gewähren. Eine zeithistorische, länder- und branchenuntersuchende Analyse zur Entwicklung des Leitbilds Nachhaltigkeit in Unternehmen stellt ein lohnenswertes Forschungsdesiderat dar. Zwar existieren mehrere wirtschaftswissenschaftliche Studien zum Gegenstand, doch ist dieser – auch aufgrund der zeitlichen Nähe zur Gegenwart – noch kaum (unternehmens-)historisch in den Blick genommen worden. Bisherige Studien leiden zum einen an einer häufigen Reduktion des Begriffs auf ökologische Aspekte, die der Komplexität des Leitbilds Nachhaltigkeit nicht gerecht wird. Zum anderen fokussieren vergleichende Arbeiten entweder auf Branchencharakteristika oder Länderspezifika und bieten hierdurch keinen umfangreichen Vergleich, der die Entwicklung betrieblicher Nachhaltigkeitskriterien umfassend analysiert und kontextualisiert.
Das Dissertationsvorhaben ist Teil des Verbundprojekts "Geschichte der Nachhaltigkeit(en). Diskurse und Praktiken seit den 1970er Jahren".