Vom Verbände- zum Beraterstaat?

 

Unternehmensberater in der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik, 1970er bis 2000er Jahre

Unternehmensberater*innen entwickelten sich in der Bundesrepublik des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts zu einflussreichen Akteur*innen nicht nur in der Volkswirtschaft, sondern auch der politischen Landschaft. Als erste umfassend quellengesättigte Untersuchung der verschwiegenen Branche zeigt die Dissertation Ursachen und Folgen zunehmender Verflechtungen zwischen Staat und Consultants ab den 1970er Jahren auf. Die Praktik des Behörden-Consulting – also die Beauftragung von Unternehmensberatungsfirmen durch Bund, Länder und Gemeinden sowie öffentliche Unternehmen – wirkt dabei als empirische Sonde für eine Verwaltungs- und Politik-, Unternehmens- und Wirtschafts-, sowie Wissensgeschichte „nach dem Boom“. Exemplarische Fallstudien von Beratereinsätzen in unterschiedlichen Bereichen der Leistungsverwaltung auf kommunaler, Länder- und Bundesebene zeichnen nach, dass Regierungen und Verwaltungsspitzen bei Verteilungskonflikten zunehmend Strategieberatungsfirmen hinzuzogen. In enger Abstimmung mit externen Berater*innen formten sie Handlungsoptionen vor, um Aushandlungen mit den betroffenen Teilöffentlichkeiten und der Opposition zu verkürzen. Beratungsfirmen wiederum profitierten von öffentlichen Aufträgen, indem sie ihre Netzwerke erweitern und sich medial als Ansprechpartner für gesellschaftspolitische Belange positionieren konnten. Die Arbeit schließt an zeithistorische Debatten um externe Expert*innen in Wirtschaft und Politik an und zeigt die Grenzen der jüngeren Forschungsbegriffe des Neoliberalismus und der Ökonomisierung auf. Statt einer konsequenten „Vermarktlichung“ der öffentlichen Verwaltung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert werden im Phänomen des Behörden-Consultings vielmehr Verschiebungen im Gefüge der klassischen Sozialpartnerschaft und eine politische Hinwendung zu kondensierten, praxisorientierten und schnell verfügbaren Wissensbeständen sichtbar.

Abgeschlossenes Dissertationsprojekt von Alina Marktanner