Sascha Ohlenforst
Die Sanierung von Werra und Elbe als umwelt- und völkerrechtliches Problem in den deutsch-deutschen Beziehungen
Die Stockholmer Weltumweltkonferenz 1972 gilt als die Geburtsstunde des Umweltvölkerrechts. Zwar enthielt die in Stockholm verabschiedete Deklaration noch keine rechtliche Bindungswirkung, indes gingen aus ihr aber die wegweisenden Impulse für die Implementierung von Umweltschutzprinzipien in das nationale Recht hervor. Die Vor- und Nachwirkungen der Weltumweltkonferenz begünstigten somit in beiden deutschen Teilstaaten ein Reformklima, mit dem sowohl die Umweltpolitik als auch das Umweltrecht zu einem „Politikum ersten Ranges“ wurden.
Allerdings bestanden im bilateralen Verhältnis der beiden deutschen Teilstaaten unterschiedliche Auffassungen darüber, inwiefern aus dem sich herausbildenden Umweltvölkerrecht und einzelnen völkerrechtlichen Verträgen auch bestimmte Verhaltenspflichten zur Gefahrenabwehr und Umweltvorsorge abzuleiten waren. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigungen führten die unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu Konflikten in den deutsch-deutschen Beziehungen. Folglich entwickelte sich auch die von der DDR ausgehende Versalzung der Werra mit Rückständen aus dem Kali-Bergbau und die Verunreinigung der Elbe mit Chemikalien aus den Industriekombinaten zu einem wirtschafts- und umweltpolitischen Dauerkonflikt, bei dem die Verhandlungspositionen beider deutschen Teilstaaten unvereinbar schienen. Während die Bundesrepublik auf die Einhaltung des Verursacherprinzips für die Übernahme der Sanierungskosten pochte, verwies die DDR auf den vermeintlichen Anwendungsvorrang des Nutznießerprinzips. Zusätzlich wurden die Umweltverhandlungen durch die Forderungen der DDR verschärft, die wasserwirtschaftliche Regulierung von Umweltschäden als ein Junktim mit der deutschlandpolitischen Frage einer völkerrechtlichen Anerkennung der Elbe-Grenze in der Mitte des Stroms zu verhandeln. In den Umweltverhandlungen der beiden deutschen Teilstaaten ging es somit nicht nur um die Lösung drängender Umweltkonflikte, sondern sogleich um die politische Aushandlung und Fortentwicklung des (Umwelt-)Völkerrechts.
Die Untersuchungsschwerpunkte der Dissertation liegen somit in den Forschungsfeldern der Umweltgeschichte, der Rechtsgeschichte und den internationalen Beziehungen. Das Forschungsvorhaben orientiert sich damit in methodischer Hinsicht an einer humanökologisch ausgerichteten Umweltrechtsgeschichte, die unter Bezugnahme auf den ökologischen und rechtlichen Handlungsrahmen auch die jeweiligen politischen Interessen und kulturgeschichtlichen Wertzuschreibungen der beteiligten Akteure untersucht. Sogleich spürt die Dissertation der Frage nach, inwiefern das Recht als Mittel zur innen- und außenpolitischen Konfliktsteuerung taugte, oder ob rechtliche Argumentationsmuster auch zur Verschleierung von politischen Interessen und somit als Barriere für diplomatische Verhandlungen dienten.
Literaturhinweise
Sascha Ohlenforst, Vom Sinn und Nutzen der Umweltrechtsgeschichte. Methodische Überlegungen auf Grundlage der Interessen- und Wertungsjurisprudenz, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 2022, i. E.
Sascha Ohlenforst, Umweltrecht in der DDR: Das Landeskulturgesetz als Mittel zur völkerrechtlichen Anerkennung?; in: Natur und Recht 2019, S. 530–537.